Ende der „Kreidezeit“ wirklich in Sicht?

Ein Interview von Hans-Dieter Klein (†) mit Torsten Richter für die EuW Sachsen-Anhalt

Nach der sogenannten Einigung für den Digitalpakt, d.h. eigentlich der Verabredung einer Grundgesetzänderung, die am 15. März durch das letztentscheidende Gremium, den Bundesrat, beschlossen werden soll, gab es vorwiegend Zustimmung und aus dem Hause Tullner sogar Euphorie.  Die Redaktion fragte unser Landesvorstandsmitglied, Torsten Richter, nach seiner Meinung.

Torsten, du hast in den letzten Jahren sowohl in deiner Schule aber auch in der GEW die Entwicklung des digitalen Schulwesens kritisch betrachtet. Ist nun das Ende der Kreidezeit wirklich in Sicht?

Mit Sicherheit nicht. Wer da glaubt, mit dem so genannten Digitalpakt ginge es nun richtig voran in Sachsen-Anhalts Schulen, der irrt. Wir erleben derzeit einen bildungspolitischen Blindflug, der seinesgleichen sucht. Das Land der Dichter und Denker hat sich nicht nur bildungspolitisch zu einem digitalen Entwicklungsland entwickelt. Da muss man sich über Äußerungen der Bundeskanzlerin, für die das Internet noch vor wenigen Jahren „Neuland“ war, oder die des Bundesinnenministers, der meint, schon in den 80er Jahren im Internet gesurft zu haben, nicht wundern. Das Ganze ist mehr als niederschmetternd.

Nun hat aber Minister Tullner gemeint, der Digitalpakt bedeute für Sachsen-Anhalt einen Quantensprung. Das klingt doch aber ganz anders?

Wir beobachten ja nun schon länger, dass Tullners Sprünge alle nur sehr klein sind. Das wird auch hier so sein. Sachsen-Anhalt wird 130 Millionen Euro bekommen. Das Bildungsministerium ist der Auffassung, es reicht aus, dass ganze bürokratisch zu untersetzen, dann kann das Geld ausgegeben werden und alles wird gut. Die Grundvoraussetzung, nämlich das Vorhandensein eines Breitbandanschlusses an jeder Schule, wird ausgeblendet. Keine 50 der 850 Schulen des Landes haben einen solchen. Das ist nicht das einzige Problem, für das keine Lösung auf dem Tisch liegt.

Welche siehst du noch?

Es ist ja nicht so, dass die Schulen dann automatisch gut ausgestattet werden. Vielmehr müssen sie ein pädagogisch-digitales Konzept erarbeiten, bei dem sie nicht wissen, welche Ausstattung und Geräte sie erhalten, ob und ab wann ein Breitbandzugang zur Verfügung steht und ob adäquate Fortbildungen im Angebot sind, usw. Tullners eigene „guten Erfahrungen mit dem eigenen Förderprogramm“ sind eher niederschmetternd. Ist das Konzept nicht ausreichend, kann die Schule  im nächsten Jahr ein neues einreichen. Hier gilt das Primat der Bürokratie vor der Pädagogik.

Hat man diese Hürde überwunden, kann man eine entsprechende Ausstattung bekommen. Völlig ungeklärt ist, wer dann die Geräte selbst und im Netzwerk administriert und pflegt, sich um Software, Reparaturen und Ersatzbeschaffungen kümmert. Bisher wird an den meisten Schulen erwartet, dass dies die Lehrkräfte mitmachen. Das ist in den beabsichtigten Größenordnungen ziemlich ausgeschlossen.

In der Debatte zwischen Bund und Ländern wurde bisher nur am Rande erwähnt, dass es keine dauerhafte Finanzierung, sondern nur eine auf fünf Jahre gäbe.

Richtig. Der Digitalpakt ist eine Art „Anschubfinanzierung“, um alle Schulen einmalig für das digitale Zeitalter fit zu machen. Niemand denkt über das „Hinterher“ nach. Daher kommt auch die Bezeichnung Mogelpackung. Denn aus bitteren Erfahrungen wissen wir doch, was aus Neubauten wird, die nicht gepflegt werden, oder jetzt eben aus Netzwerken und Endgeräten ohne Administratoren usw. Sie sind und werden dem Verfall preisgegeben.

Aber ist es nicht erfreulich, dass jetzt überhaupt Geld fließen kann?

Ja sicher, aber in welcher Richtung, von wem gesteuert und mit welcher Wirkung? Es gibt keine Empfehlungen seitens des Bildungsministeriums für die digitale und personelle Ausstattung der Schulen.  Jeder Landkreis macht, besser gesagt muss machen, was er für richtig hält. für Es entsteht ein sehr bunter Flickenteppich der Ausstattung der Schulen. Ungeklärt ist bisher völlig, wie das Land die Landkreise mit Geld ausstatten will. Personal wird auch benötigt, um eine solche Mammutaufgabe zu lösen. Wird das Land die Landkreise und anderen Kommunen entsprechend ausstatten?

Ursprünglich hatte der Bund ja vor neben der Einführung einer 50:50 – Finanzierungsquote auch Kontrolleure in die Schulen  zu schicken. Das ist zwar so jetzt vom Tisch, aber was hätte das praktisch bedeutet?

Ersteres hätte wieder bedeutet, dass in finanzschwachen Gegenden, also bei uns, gar nichts passiert wäre. Es wird schon ohne solche Regelungen genug Probleme geben. Zweiteres halte ich für völlig absurd und erinnert mich an meinen Geschichtsunterricht, wo mir etwas über preußische Kontrolleure beigebracht wurde, die Kaffeedüfte bei den Bürgern aufspüren sollten.

Muss denn wirklich jede Schule „ans Netz“? Nicht wenige meinen, dass digitale Endgeräte keinen besseren Unterricht bedeuten und ganze Generationen mit Schulbüchern und Kreide auch gut großgeworden sind.

Hier müssen wir zwei Seiten betrachten. Zum einen ist es richtig, dass allein die Digitalisierung nicht bedeutet, dass damit automatisch der Unterricht besser wird und die Schüler ebenso automatisch besser lernen. Aber darum geht es aus meiner Sicht auch gar nicht in erster Linie. Der entscheidende Punkt ist, dass wir im digitalen Zeitalter angekommen und damit, und das ist die andere Seite, zukünftig Kompetenzen benötigt werden, die mit Büchern und Kreide nicht vermittelbar sind. Wir reden von digitalen Kompetenzen, die unter anderem den sinnvollen Umgang und das Nutzen der digitalen Daten und Technologien beruflich wie auch privat ermöglichen. Diese müssen in der Schule zukünftig erworben werden.

Das klingt sehr theoretisch. Kannst du das an einem Beispiel verdeutlichen?

Sicher. Bei digitaler Kompetenz denkt man zuerst das Beherrschen von Daten, Programmen, Geräten, IT-Technologien usw. Digitale Kompetenz spiegelt sich aber auch in der Fähigkeit wieder, als eigenständige Persönlichkeit im „neuen Zeitalter“ zurecht zu kommen.

Nehmen wir das wahrscheinlich einfachste Beispiel, den digitalen Informationsfluss in den sozialen Netzwerken. Da sind inzwischen kognitive und emotionale Kompetenzen in neuer Dimension erforderlich, um in dem Strudel von Fake-News, Memen, Hetze und Hass einen klaren Blick zu behalten. Eine digitale Kompetenz besteht darin, solche Informationen kritisch zu bewerten, sie zu hinterfragen, ggf. zu recherchieren und den Wahrheitsgehalt zu erkennen.  Und gerade das Fehlen dieser digitalen Kompetenz lässt sich derzeit in den sozialen Netzwerken massenhaft beobachten.

Wer soll das eigentlich im Land und bis zur kleinsten Grundschule umsetzen?

Das ist eine der vielen ungelösten Probleme. Das Bildungsministerium geht davon aus, sie kümmern sich um die Geldvergabe, Tullner überreicht hier und da ein paar Schecks, und wir kommen rasant in der Digitalisierung vorwärts. Dabei ist völlig ungeklärt, wer die administrativen und technischen Aufgaben übernimmt, wer für die Folgekosten aufkommt und wie und wann man die Lehrkräfte in Größenordnungen fortbilden will.

Auf die Frage, ob auch das notwendige Glasfasernetzt aus dem Pakt finanziert werden könne, antwortet das Bundesbildungsministerium mit einem klaren Nein. Wie bewertest du das?

Tatsächlich kommt hinzu, dass es in Sachsen-Anhalt einen ungedeckten Finanzbedarf von 24 Millionen Euro gibt, um die restlichen ca. 850 Schulen ans Glasfasernetz zu bekommen. Das war das Ergebnis einer Machbarkeitsstudie der Landesregierung. Im letzten Jahr standen hierfür wohl ganze  drei Millionen Euro zur Verfügung. Es ist ein Fiasko.

Was du hier geantwortet hast, klingt nicht nach Einstimmung in den Jubel. Was ist dein Fazit? Der „Digitalpakt“ ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir erkennen sehr wohl den positiven Aspekt an, dass es eine solche Anschubfinanzierung gibt, weisen aber auf viele ungeklärte Fragen hin. Es steht zu befürchten, dass genau diese zu einer immensen Mehrbelastung der Lehrkräfte führen wird, was wir als Bildungsgewerkschaft so nicht hinnehmen werden. So wird jedenfalls das Ende der Kreidezeit nicht erreichbar sein.

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