Hin und wieder macht es Sinn, über gute Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte und den wertschätzenden Umgang mit ihnen nachzudenken. Insbesondere kann man beim Nachdenken einbeziehen, wie gut das Land Sachsen-Anhalt sich hierbei erweist, ist es doch erklärte Ansage, dass es mit seinen guten Bedingungen Lehrkräfte anwerben will.
Beginnen wir mit der „Weltenretter-Kampagne“ von Sachsen-Anhalt unter https://weltenretter.online/. Hier kann man nachlesen, Sachsen-Anhalt „bietet attraktive Rahmenbedingungen für eine Lehrtätigkeit, u. a. werden alle Lehrkräfte, die die Voraussetzungen hierfür mitbringen, in einem Beamtenverhältnis eingestellt. Aber auch interessierte Seiten- und Quereinsteigende haben die Chance auf eine unbefristete Einstellung im Schuldienst des Landes.“ Mehr steht nicht da. Der Wille, mit guten Bedingungen Lehrkräfte einzuwerben, scheint nicht so stark ausgeprägt, sonst hätte man eine bessere Marketing-Agentur damit beauftragt. Es kann aber auch sein, dass sich das Bildungsministerium bewusst ist, nicht mit guten Angeboten glänzen zu können.
Grundschullehrkräfte bekommen in Sachsen-Anhalt derzeit die E11 / A12, in Thüringen die A13. Sicher, jetzt kommen Zulagen zur Angleichung und die Eingruppierung ändert sich im Laufe der nächsten zwei Jahre in die E13 / A13. Wir brauchen aber gerade jetzt Grundschullehrkräfte, nicht erst in ein paar Jahren. Diese von uns seit Jahren geforderte Angleichung wurde durch die kluge und weitsichtige Politik der Landesregierungen immer vom Tisch gewischt, um sie erst jetzt umzusetzen. Zwischenzeitlich wandern bis dahin die wenigen hier ausgebildeten Grundschullehrkräfte weiterhin in Länder mit besserer Bezahlung ab.
Den Mangel an Lehrkräften, der zu einem nicht geringen Teil ein selbst erzeugtes Problem ist, weil nach wie vor zu wenig Lehrkräfte ausgebildet werden und die Einstellungszahlen in den entscheidenden Jahren zu niedrig gehalten wurden, dürfen die verbleibenden Lehrkräfte „ausbaden“. Viele arbeiten schon jetzt in Fächern oder sind sonderpädagogisch tätig, obwohl hierzu jede Ausbildung fehlt. Wertschätzung hierfür? Natürlich keine, das gehöre nun mal zu den Aufgaben, die eine Lehrkraft zu erfüllen habe. Grundsatz bildungsministerieller Arbeit scheint der schwäbische Spruch: „Nicht geschimpft ist genug gelobt“.
Um an manchen Schulen überhaupt noch Unterricht in bestimmten Fächern vorhalten zu können, ging man dazu über, so genannte seiteneinsteigende Lehrkräfte einzustellen, also Personen, die zwar einen Bachelor- oder Hochschulabschluss haben, aber kein Lehramt vorweisen können. Auch hier scheitert Sachsen-Anhalt wieder an sich selber. Die Anerkennung von Unterrichtsfächern gestaltet sich kleinlicher als kleinlich, häufig sind die betroffenen Beschäftigten schon vor Beginn ihrer Tätigkeit demotiviert. In der Schule angekommen sind dann die Umstände zu häufig maximal schlecht. Unterricht ab dem ersten Schultag anstatt anfänglicher Hospitationen, in bis zu sechs anstatt der zugesagten maximal zwei Fächer, kaum Unterstützung durch Schulleitung oder Kollegium, Sprüche wie „Sie waren auch mal Schüler, Sie müssen doch wissen, dass es Klassenbücher gibt.“ oder „Seiteneinsteiger gehören nicht ans Gymnasium“ lockern den beruflichen Alltag ungemein auf. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an die Schulen, die eine gute Willkommenskultur etabliert und auch dadurch gute und sehr gute seiteneinsteigende Kolleginnen und Kollegen gewonnen haben. Ansonsten gibt es zwar Empfehlungen für den Berufsstart, deren Umsetzung scheint aber ministeriell ziemlich egal. Lieber streitet man sich, ob diese Kolleginnen und Kollegen fünf, sechs oder sieben Entlastungsstunden für einen berufsbegleitenden Zertifikatskurs, einem Lehramtsstudium ähnlich, erhalten. Kleckern statt klotzen ist die Devise. Im Ergebnis haben die Hälfte der im letzten Jahr eingestellten Seiteneinsteiger wieder den Dienst verlassen. Warum das so ist, möchte das Bildungsministerium besser auch nicht wissen, es könnte ja Kritik an der eigenen Arbeit entstehen.
Zwischenzeitlich kam die Idee, freiwillig „Zusatzstunden“ anzubieten, wer mehr unterrichtete, sollte dies am Ende des Schuljahres berechnet und Anfang des neuen Schuljahres bezahlt bekommen. Der ministerielle Irrtum bestand wahrscheinlich in der Geschwindigkeitsabschätzung der vorhandenen Zählmaschinen, viele erhielten ihre Auszahlungen erst im November oder Dezember.
Gleichzeitig wurde die Altersermäßigung für Lehrkräfte gestrichen, anstatt ab vollendetem 60. Lebensjahr gibt die Entlastung erst ab dem 62. Lebensjahr. (Zum Vergleich: Im Freistaat Thüringen gibt es zwei Stunden Ermäßigung ab dem vollendeten 55. Lebensjahr.) Dieser ministerielle Motivationsschub kam bei den Lehrkräften gut an, trotz der eindringlichen Bitte der Ministerin, Lehrkräfte sollten länger durchhalten, fühlen sich noch mehr Lehrkräfte motiviert, eher ihre Berufslaufbahn zu beenden, um wenigstens noch ein wenig ihre Gesundheit – soweit noch vorhanden – zu schonen.
Und nun die letzte Aktion der Landesregierung zur Steigerung der Attraktivität des Lehrkräfteberufs: Die Vorgriffstunde. Klingt modern, ist aber nichts weiter als eine unverschämte Arbeitszeitverdichtung, die handwerklich hingepfuscht wurde. Sicher, man kann sich aussuchen, ob man sie bezahlt oder diese auf einem Arbeitszeitkonto sammeln will, was man sich allerdings nicht aussuchen kann, ist, ob man sie überhaupt macht. Entgegen der Erfahrungen, die bei der Auszahlung der Zusatzstunden entstanden sind, soll nun alles monatlich ausgezahlt werden. Niemand ist aussagefähig, wie das funktionieren soll. Mitten im Schuljahr haben diese Stunden für viele Schulen überhaupt keinen Nutzen gebracht, die logische Variante, damit Mehrzeiten ausgleichen zu können, wurde verneint. Der Pressemitteilung des Bildungsministeriums folgte lange nichts. Nach der Änderung der Arbeitszeitverordnung bemerkte man, dass auch der sogenannte „Flexi-Erlass“ geändert werden müsste. Ein erklärender Erlass erklärte den Flexi-Erlass in den Punkten für ungültig, in denen die Arbeitszeitverordnung etwas anderes aussagt, welche Punkte das sind, hat man seitens des Bildungsministeriums nicht erwähnt. Die gleichzeitig ausgegebenen Formulare wurden zwei Wochen später vom Landesschulamt „kassiert“. Innerhalb weniger Tage mussten die Beschäftigten Entscheidungen für das nächste Schuljahr treffen, dessen Folgen niemand erklären konnte. Entscheidungen für das laufende Schuljahr wurden glatt vergessen. Die wichtigsten Fragen zur veränderten Arbeitszeitverordnung und zur Vorgriffstunde haben wir in EuW……. und in dieser Ausgabe versucht zur beantworten.
Kommen wir zur Ausgangsfrage zurück: Ist Sachsen-Anhalt ein lehrkräftefreundliches Land? Mag sein, dass es positive Punkte gibt, die nun nicht aufgezählt wurden. Aus meiner Sicht sollte es Aufgabe des Bildungsministeriums sein, für die Lehrkräfte die besten Rahmenbedingungen für ihre anspruchsvollen und nicht immer leichten Aufgaben zu bieten oder herzustellen. Allerdings werden durch schlecht vorbereitete und inhaltlich nicht akzeptable Entscheidungen zu Lasten der Lehrkräfte, durch fehlendes Agieren, wo es nötig wäre und nicht zuletzt durch einen katastrophalen Informationsfluss sukzessiv die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen für Lehrkräfte so verschlechtert, dass immer mehr vorzeitig aus dem System flüchten. Sachsen-Anhalt ist kein lehrkräftefreundliches Land und genau das wird uns in Zukunft noch vor erhebliche Probleme stellen.
Torsten Richter